Erinnerung an Pfarrer Richard Wagner

Er starb vor 50 Jahren am 23. Dezember 1970 in Liebethal,

am 5. März 1914 geboren in Georgenfeld, Osterzgebirge.

Gegenüber dem Eingang zur Kirche in Liebethal steht sein Grabstein.

Er wurde nur 56 Jahre alt, in den letzten anderthalb Jahren von Krankheit schwer gezeichnet.

In Pirna 1941 ordiniert, war er dort ab 1943 ständiger Pfarrer. 1951 übernahm er die Pfarrstelle Liebethal und Porschendorf. Dazu gehörten damals Bonnewitz, Dobra, Elbersdorf, Jessen und Mühlsdorf. Jeden Sonntag hielt er zwei Gottesdienste, früh 9 Uhr und nachmittags 14 Uhr, jede Woche wechselnd in Liebethal und Porschendorf. In der Adventszeit lud er vor allem Schulkinder in die Kirche zu einer kurzen Andacht unter dem Adventsstern ein, vor Schulbeginn früh halb acht. Wir sangen Advents- und auch Weihnachtslieder. Viele davon sind so im Gedächtnis geblieben. Er hielt Gemeindeabende, Bibelstunden, organisierte Gemeindefahrten, gelegentlich Ausstellungen im Pfarrhaus. Regelmäßig gelang es ihm, die Leipziger Spielgemeinde für Theateraufführungen in der Kirche zu gewinnen – und Quartiere für die Schauspieler.

Wegen seines schweren Augenfehlers fuhr er nicht Fahrrad. Als Kind des Osterzgebirges hatte er Skier, jedoch kein Fahrrad und lernte das auch nicht. Viele Jahre ging er fast alle Wege zu Fuß, auch nach Dobra. Erst später nutzte er den Bus. Auf dem Weg nach Porschendorf hatte er öfter seine Trompete mit und blies vom Waldrand Liedmelodien, meist Choräle, ins weite Tal. Da wussten die Gemeindeglieder, der Pfarrer ist bald da. Für Namen hatte er ein sehr gutes Gedächtnis, er kannte wohl fast alle Gemeindeglieder der sieben Dörfer. Er sagte einmal, trotz und wegen seiner starken Brille, er erkenne viele am Gang. Viele Verwandtschaftsverhältnisse und manche Probleme waren ihm bekannt. Er konnte gut mit Menschen umgehen, sich auf sie einlassen, besuchte Gesunde und Kranke, munterte sie auf, tröstete und begleitete sie.

Um Erhaltung der Kirchen und Gemeindegebäude bemühte er sich. Trotz aller Schwierigkeiten, Baumaterial in der DDR zu beschaffen und der sehr zurückhaltenden staatlichen Zuteilung von Baukapazitäten für Kirchgemeinden, gelang manches. Mitte der 50er Jahre wurde das Dach der Kirche umgedeckt, war wieder dicht. Für ein neues Dach wären neue Ziegel notwendig gewesen, die waren leider nicht zu beschaffen.

Auch in den 50er Jahren erhielt die Liebethaler Kirche eine Gasheizung. Die damals üblichen offenen Heizkörper hatte unseres Wissens die Patengemeinde Bad Essen in Niedersachsen beschafft und geliefert. Klempnermeister Franke aus Copitz, er war in Pirna Kirchvorsteher, hatte die Installation übernommen. Die Abgase gelangten über Asbestzementkanäle ins offene Dach. Die Kirche konnte geheizt werden, wurde warm. Dieser aus heutiger Sicht abenteuerliche technische Stand von vor ca. 65 Jahren ist inzwischen gut zurückgebaut, Schäden durch die Abgaskanäle sind behoben.

 

Ein großes Projekt waren 1965 die Arbeiten am Kirchturm, Neudeckung mit Schiefer und elektrischer Antrieb für die Glocken. Bis dahin hatten Herr Otto Strohbach oder der Hermann Paul die Glocken geläutet, auch der älteste Pfarrerssohn, dabei volles Geläut manchmal auch allein. Kein Glockenschlag durfte fehlen, in Liebethal wäre das aufgefallen. Anspruchsvoll war, nach dem Abendläuten mit der großen Glocke das sog. Anschlagen, dreimal drei Einzelschläge für Vater, Sohn und Heiligen Geist. Wie man das nur mit dem Glockenseil schafft, hatte Herr Strohbach vermittelt. Der elektrische Antrieb machte das Läuten leichter, eine Schaltuhr steuerte das tägliche Läuten mit der mittleren Glocke. Das Anschlagen jedoch fiel weg, war mit dem einfachen elektrischen Antrieb nicht zu machen.

 

Für die Schieferdeckung war der Kirchturm 1965 voll eingerüstet. Dieses Gerüst nutzte unsere Mutter, um die beiden Uhrzifferblätter zu streichen. Anerkennend wurde bemerkt „Frau Pfarrer steigt hoch auf das Gerüst“. Das war nicht das Einzige, was unsere Mutter in der Kirchgemeinde tat. Wenn sie eine Aufgabe sah, dann packte sie die an, siehe Zifferblätter. Deshalb hieß es, nicht nur unter Pfarrern, in Liebethal sind die Wagners. Um Frauendienst, Mütterkreise kümmerte sie sich. Nach Renteneintritt von Kantor Schletter, vertretungsweise schon vorher, um Chor und Kirchenmusik. Musik war eine der starken Gemeinsamkeiten. Vater sang sehr gut Tenor, unsere Mutter Alt, manchmal gemeinsam im Gottesdienst. Besonders erinnerlich ist das zweistimmige „Eins bitte ich vom Herren“ nach Psalm 27 aus den kleinen geistlichen Konzerten von Heinrich Schütz. Die Liebe zur Musik haben unsere Eltern weitergegeben. In der Liebethaler Kirche im Gottesdienst Orgel zu spielen hat sie noch lange nach Vaters Tod weitergeführt. Da sie ab 1971 in Dresden-Zschieren wohnte, übernachtete sie öfter bei Ilse Hermann. 

An Gemeindeveranstaltungen hatten wir als Pfarrerskinder nur selten teilgenommen, außer an Gottesdiensten, Theateraufführungen. Durch die Grundschule, beim Stromern durch Liebethaler Grund und Flur, bei Bauern, in der Schmiede, beim Tischler, wohlwollend geduldetes Zusehen, manchmal mithelfen, Schlittschuhfahren auf dem vereisten Feuerlöschteich – das gab es mal, waren wir Kinder im Dorf. Verbindungen entstanden. Spielgefährten und Freunde konnten wir immer mit nach Hause bringen.

Für Ausbildung mussten wir Liebethal verlassen. Musikschule war in Pirna, Mittelschule in Copitz, Oberschule in Pirna, Berufsschule in Dresden wie auch Schule und Internat des Dresdner Kreuzchores und die Spezialschule für Musik mit Internat. Schon lange leben wir nun nicht mehr in Liebethal. Unser Bruder Gotthold ist 1995 leider tödlich verunglückt. Unsere Mutter wäre in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden. Unseren Vater haben wir, Johannes, Christina und Elisabeth, inzwischen an Jahren deutlich überrundet.

Aber Kind sein in Liebethal – mit den vielen Freiheiten, den Erlebnismöglichkeiten auf Bauernhöfen, bei Handwerkern, den erträglichen Pflichten, die wir hatten – war etwas ganz Tolles, das verbindet mit Liebethal.

Elisabeth Wagner

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